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„Dieses Selbst ist vielfältig, widersprüchlich, wandelbar: erst wenn wir es als solches annehmen, erkennen wir das Ausmaß unserer Freiheit. Dann gibt es kein Halten mehr: Wir unterwerfen uns nicht mehr, weder Teilen von uns selbst, die uns von innen tyrannisiert haben, noch Wahrheiten, die vom Himmel gefallen sind und sich uns von außen aufgedrängt haben. Wir sind auf zweierlei Weise befreit: Endlich vertrauen wir uns selbst.“ Charles Pepin

Angenommen, lieber Leser, Sie hätten es einfach! Eine Fülle an Selbstbewusstsein! Sie wären selbstbewusst. Und das sogar in allen für Sie wichtigen Bereichen des Lebens. Im Beruf und im Privatleben. Im Umgang mit Ihren Eltern. Oder mit ihren pubertären Kindern. Oder auch natürlich in der Liebe. Gegenüber Ihrem Partner/In oder solchen Menschen, die Sie gerade kennenlernen. Sie wären ein selbstbewusster Single! Oder voller Selbstbewusstsein auf der Straße, oder beim Einkaufen? Meine Frage an Sie: Was würden Sie dann anders tun? Was fällt Ihnen sofort alles ein? Tun Sie so, als ob Sie selbstbewusst wären. Und hören Sie in sich hinein. Würden Sie kündigen? Würden Sie einem Kollegen mal die Grenzen aufzeigen? Würden Sie sich mit der coolen Idee endlich zu Wort melden im Meeting, wo Sie aktuell schweigen? Würden Sie Ihrer Mutter die permanenten verbalen Übergriffe untersagen? Würden Sie den Mann, den Sie seit Monaten attraktiv finden, endlich zu einem Dinner einladen? Oder würden Sie mit einem Instrument anfangen, das Sie lieben? Oder Ihrem pubertären Sohn mal eine Grenze aufzeigen? Oder Ihrer echten Freundin mal sagen, wie sehr sie sie schätzen.

„What would you do, if you weren´t afraid?“ ist eine Frage eines Protagonisten des berühmt gewordenen Buchs „Die Mäusestrategie für Manager“ von Spencer Johnson und es zielt auf etwas ähnliches ab, zu dem ich Sie in diesem Buch immer wieder „verführen“ möchte, nämlich sehr konkret über gangbare Schritte zu reflektieren, die Sie gehen können, wenn Sie sich ernst nehmen, um Ihre eigene Persönlichkeit wachsen zu lassen und Ihren Wirkungskreis selbstbewusst auszudehnen.

Diese „As-if“-Technik (wir tun so, als ob..) ist in meinem Coachberuf sehr beliebt. Denn wir Coaches können so „ganz unverbindlich“ bei unseren Klienten ein Vorstellungsfenster aufmachen, die Menschen können mal in eine Art Rolle schlüpfen und so schon mal eine spürbare Erfahrung machen, wie denn das andere Ufer des selbstbewussten Lebens denn so „schmeckt“.

Dies ist eine Technik, die Sie gerne auch in der Selbstreflexion immer wieder nutzen können, um sich auf die beste Seite Ihres Selbst zu schubsen. Die beste Seite, die in Ihnen zu normalen Zeiten, wo sie gerade einigermaßen normal drauf sind, (nicht todmüde, vergrippt, oder in akuter echter Trauer) jederzeit zur Befragung offen- und bereitsteht. Es ist wie eine Instanz, die binnen von Sekunden antworten kann, „was eigentlich los ist“, was „wahrhaft, stimmig, kongruent mit sich selbst ist“. Mit dieser unspektakulär wirkenden Frage jedenfalls, habe ich so oft erste Ideen von echten tiefen Veränderungswünschen von Menschen erfahren, dass ich anfing mich zu fragen, worin denn der große Zauber dieser As-if-Frage liegt. Für mich liegt der Zauber darin, dass wir uns mit dieser Frage im Schutz unserer eigenen Unverbindlichkeit und ohne Reingequatsche unseres inneren Kritikers, der ja sonst sofort parat steht, ein alternatives Vorstellungsfenster öffnen können. Und allein, diese Vorstellung kann schon mal ein erstes kleines Signal ins Innere System geben. Es kann ein alternatives Verhalten oder anderes Leben für mich geben, auch wenn diese noch real unendlich weit weg erscheint. Diese Idee ist manchmal zart wie ein Sprössling einer Pflanze aber auch schon ein Keimling trägt das Potential der zukünftigen großen Pflanze in sich. Es ist also ein sensibler und starker Moment. Lassen Sie uns auch den worst Case dieser kleinen Selbstbefragung mit dieser As-if-Technik beleuchten. Vielleicht kommen Ihnen spontan Ideen, die wirklich übertrieben, unreal, nicht wirklich attraktiv sind, und die sie dann wieder verwerfen können nach einer Prüfung. Selbstbewusst verwerfen! Das Risiko scheint also gering, oder? Zum Glück ist diese As if Frage ja auch nur als kleiner Mini-Anfang für einen neuen Dialog mit sich selbst gedacht. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Sie sehen also, egal wie, probieren Sie es mal aus mit dem „So tun, als ob- Selbstbewusstsein“ 

Klingt eigentlich schon von der Begrifflichkeit (Selbst-) logisch, ist aber dennoch nicht selbstverständlich. Meine Interviews wie meine über zwanzig jährige Arbeit mit „gesunden Erwachsenen“ (Menschen ohne akute psychische Diagnose) haben mich darin bestätigt, dass alle erwachsenen Menschen mit dem Thema „Selbstbewusstsein“ in ihrer persönlichen Lebensgestaltung zu kämpfen haben. Niemand, den ich kenne, hat diese Thema für sich ein für alle mal abgehakt. Spätestens in einer neuen Lebensphase im Erwachsenenalter, wenn etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnt, wird das Thema aktuell. Wenige Menschen sprechen im Alltag darüber, außer vielleicht mit echt guten Freunden, aber selbst da scheint man nicht so richtig über gut gemeinte Ratschläge oder Küchenpsychologie (das kommt bestimmt aufgrund Deines Verhältnisses zu Deinem Vater/Mutter!) hinauszukommen. Selbstbewusst zu werden ist also ehrlicherweise ein intensiver oft auch krisenhaft erlebter Prozess für Menschen, eine Entwicklung, die ein ganzes Erwachsenenleben lang eine Rolle spielt. Viele Menschen sehen küchenpsychologisch Zusammenhänge von Schwierigkeiten im Leben zu einer wie auch immer gearteten Kindheit. Sie konstruieren solche Zusammenhänge. Immer wieder höre ich von Klienten Sätze wie „Ich gerate einfach immer an denselben Frauentyp – und diese Frauen sind wie meine Mutter…und dann habe ich die gleichen Probleme wie mit meiner Mutter“. Oder ich höre im beruflichen Kontext, dass „die Probleme mit grauhaarigen Männern in Führungsetagen haben bestimmt mit meinem noch nicht abschließend geklärten Verhältnis mit meinem Vater zu tun“. Ich mache gute Erfahrungen damit, diese scheinbaren psycho-logischen Zusammenhänge, die wie Sicherheitsnadeln zwei unzusammenhängende Dinge zusammenheften wollen, bewusst in Frage zu stellen. Ich finde es für Menschen entlastend, sich vorzustellen, dass eine Managerin gerade nur mit ihrem Vorgesetzten und nicht mit ihrem Vater eine offene Rechnung haben. Oder ein Mann eben mit einer Geliebten keine klare Kommunikation findet. Das macht für meine Klienten die Aufgabe oft lösbarer. Und in der Praxis klappt das sehr gut. Vielleicht gibt es gar keine lange in Ihre Kindheit hineinragende Geschichte, sondern vielleicht können auch Sie in Ihrer Gegenwart als Erwachsener einem anderen Erwachsenen gegenüber nun eine neue Stärke an den Tag legen. Vielleicht können Sie als Mensch lernen, diesmal eine Erwartung nicht übereifrig zu erfüllen, oder Sie können auch sehr zuverlässig Zusagen einhalten, oder auch eine Trennung vollziehen, von der Sie überzeugt sind, dass sie ansteht. Ich kann Ihnen zusichern, jede überzeugte selbstwirksame Handlung, die Sie in die Tat umsetzen, wird Sie in ihrem Selbstbewusstseinsgefühl stärken. Auch und gerade, wenn Sie sich dabei nicht komfortabel fühlen oder gefühlt haben.