Stärke & Kraft der Samurai – Coaching für Menschen am Leistungslimit

Ein Beitrag von Christina Yuko Vogel

Inhalte

Stärke und Kraft

Imposant, nicht wahr? Stärke, Kraft, Macht, unzerstörbar, martialisch – sind vielleicht einige Worte, die einem bei dem Anblick dieses Kämpfers in Samurai Ausrüstung durch den Kopf gehen.  

Nun ist martialisch sicherlich weder im gesellschaftlichen Sinne noch im beruflichen Kontext ein sonderlich erstrebenswerter Zustand oder Einstellung. Doch Stärke und Kraft sind für die Mehrheit der Menschen positiv belegt und werden als durchaus attraktive und wünschenswerte Parameter verstanden. 

Der Mythos um den Stand des Samurai im historischen Japan ist und wird vielfach diskutiert, aber unbestritten ist, dass diese Männer ein Symbol der Stärke, von Disziplin und Selbstaufopferung getrieben und leider auch der rohen und brutalen Gewalt verfallen waren.  
Die Ausrüstung der Samurai wurde in höchster Handwerkskunst hergestellt und diente dem Schutz und war gleichzeitig sehr wichtiges Statussymbol.

Menschen am Leistungslimit

In meinen Coachings arbeite ich sehr oft mit Menschen, die stetig an ihrem Leistungslimit agieren, meist beruflich, aber eben auch privat und in den häufigsten Fällen in einer Kombination von beiden Lebensbereichen. Man würde sie als die klassischen Top- oder High-Performer bezeichnen.  

Sie finden ihren Weg natürlich nicht grundlos zum Coaching, häufig fallen Aussagen wie „ich habe meine Leichtigkeit verloren”„ich funktioniere nur noch und fühle nichts mehr dabei”„meine Leistung stimmt (noch), aber es fühlt sich so an, als habe man meinen Kopf vom Körper getrennt”„ich bin stark, aber steif und unbeweglich geworden”.

Nicht selten sprechen Klienten:innen davon, dass das Umfeld sie als “Maschine” bezeichnt; dabei schwingt eine Mischung aus Bewunderung, Sorge und Ratlosigkeit mit.  
In vielen Fällen folgt leider recht unmittelbar bzw. zeitnah auch ein tatsächlicher Leistungsabfall oder zumindest eine mentale und/oder physische Symptomatik.  

Es steht außer Frage, dass die Anforderungen des beruflichen und privaten Lebens, aber natürlich auch die eigenen Ambitionen, Konflikte, Probleme und Schicksalsschläge uns bisweilen eine Menge abverlangen. Während jede Bewältigungsstrategie so individuell ist wie wir Menschen es sind, treffe ich bei meinem Coaching sehr häufig auf Klienten:innen, die – ob nun bewusst oder unbewusst – für sich die Strategie des Durchpowerns, des sich-noch-stärker-Machens und des Durchhaltens wählen.  
Damit gelingt es vielfach, die Leistungsfähigkeit zumindest für eine gewisse Zeit in einem akzeptablen Rahmen sicherzustellen, aber – wie sooft – hat auch hier alles seinen Preis.

Samurai Krieger

Ich verwende gerne das Bild des Samurai, weil es so eindrücklich zeigt, dass Kompensationsverhalten und eben auch durchaus Bewältigungsstrategien – wenn zu sehr in Extremen – zwei Seiten einer Medaille haben können. In Zeiten größter Beanspruchung und oftmals Überforderung können wir uns im übertragenen Sinne die Samurai-Ausrüstung anziehen. Sie lässt uns stark sein, durchpowern, wir glauben, sie schützt uns zumindest für eine gewisse Zeit davor, dass uns externe Faktoren und Gegebenheiten in die Knie zwingen können. Die Ausrüstung hat eine enorme Strahlkraft: sie zeigt eine Person, die allen Anforderungen trotzt und dabei noch immer wie ein Fels in der Brandung steht.  
Das ist aber eben nur eine Seite der Medaille. Denn gleichzeitig macht uns diese Ausrüstung unbeweglich, sie nimmt uns die Leichtigkeit, die das Leben an vielen Stellen aber gerade so besonders schön macht. Die rigide Ausrüstung mag uns vor äußeren Angriffen für eine gewisse Zeit schützen, aber sie macht uns auch recht unbeweglich, sie nimmt uns manchmal nahezu die Luft zum Atmen.  
Klienten:innen erkennen in diesen Phasen oft, dass ihnen ihre eigene Leistungsfähigkeit in Verbindung mit der Fähigkeit, sich eine Samurai Ausrüstung anlegen zu können, im Prinzip zum Verhängnis wird. Sie sind dazu in der Lage, den Bogen kontinuierlich zu überspannen und dabei über gesunde Grenzen hinaus zu gehen. 
Hält dieser Moment über einen längeren Zeitraum an, führt die Unverhältnismäßigkeit der eigenen Beanspruchung zu einer ungesunden mentalen und physischen Dysbalance.  
Damit werden sie im wörtlichen und übertragenen Sinne unbeweglich, verlieren Leichtigkeit und empfinden sich selber als eine nur noch funktionierende Maschine.

Was also tun?

Coaching unterstützt an dieser Stelle im Prinzip an mehreren Stellen:

coaching-fuer-staerke-und-kraft

Was sich nach einem handlichen 4-Punkte-Plan anhört, sollte nicht den Eindruck entstehen lassen, dass dieser Prozess für Klienten:innen trivial ist.  

Veränderungsprozesse, in denen wir erkennen, dass wir unsere Kraft und Stärke nur langfristig erhalten und sicherstellen können, indem wir im Prinzip eine vermeintliche Stärke ablegen müssen – die Samurai Ausrüstung – fällt niemandem leicht.  
Ignoriert man den eigenen unbalancierten Zustand der Unverhältnismäßigkeit, ist die Leistungsfähigkeit, die wir alle anstreben und uns wünschen, zu kurzfristig gedacht und genutzt. Es ist ein Irrglaube, dass man nur lang genug durch- und aushalten muss, um es dann irgendwann über die Bergspitze der Erschöpfung und Überforderung zu schaffen und dass es sich danach wunderbar bergab rollt. So funktionieren wir als Menschen weder mental noch physisch. Mentale und physische Gesundheit sind unabdingbar für den langfristigen Erhalt unserer Leistungsfähigkeit.  

Im Coaching erlebe ich Klienten:innen oft in einem Zustand, in dem ihnen nicht im Geringsten bewusst ist, dass sie sich bereits über einen sehr langen Zeitraum über alle Maße beanspruchen und sich, quasi aus der unbewussten Not heraus, ungesunde Kompensationsmechanismen zugelegt haben. In der Realität der Klienten:innen stellt sich nicht die Frage, ob 3-4 Stunden Schlaf pro Nacht zu wenig, Arbeiten an Samstagen und Sonntagen zu viel und etliche physische Signale wie Rückenschmerzen, Magenschmerzen, Zwerchfell-Spannungen, etc. ein klares Signal sein könnten.

All diese Gegebenheiten werden relativ leidenschaftslos abmoderiert, schließlich „ist das ja jetzt nicht so schlimm”„es ist ja nur eine Phase, die sich auch irgendwann wieder ändern wird”.

Auf die Frage nach dem Umgang mit all diesen Dingen folgt meist – wie man deutlich hören kann – die Erklärung eines äußerst routinierten Kompensationsmechanismus:

„Ich muss leisten, der Berg an Aufgaben nimmt stetig zu. Also habe ich mich gefragt, woher ich mehr Stunden bekommen kann, um alles abzuarbeiten. Deswegen schlafe ich in der Regel nur 3 Stunden und auf meine Wehwehchen achte ich gar nicht, denn es würde mir Zeit rauben, würde ich jetzt auch noch zum Arzt gehen. Wenn es dann mal ganz schlimm wird, nehme ich halt eine Ibu” 

Coaching hat an dieser Stelle zur Aufgabe, sehr behutsam, aber stetig diese Kompensationsmechanismen in Frage zu stellen und im Prinzip Schicht für Schicht offenzulegen, welche ungesunden oder unverhältnismäßigen Mechanismen sich entwickelt haben. Um überhaupt an der Herbeiführung von Lösungen arbeiten zu können, gilt es zunächst den Status Quo und somit in vielen Fällen auch das Problem zu erkennen und zu analysieren. Erst durch das Bewusstwerden der möglicherweise ungesunden Facetten unseres Denkens und Verhaltens sind wir in der Lage, uns auf eine wohlwollendere Basis zu stellen und Lösungen herbeizuführen.  

Diese Prozesse in einem Coaching sind oft langwierig, emotional und alles andere als einfach für Klienten:innen. Fragen Sie sich selbst, wie einfach würde es Ihnen fallen abzulegen, was Sie vermeintlich leistungsstark macht – die Fähigkeit, sich eine Samurai Ausrüstung anzuziehen und etliche physischen Signale und Defizite zu ignorieren?  

Die Erkenntnis, dass wir hier aber nur von einer vermeintlichen Stärke sprechen, die ein klar vorgezeichnetes Ablaufdatum hat, darf sich im Coaching-Prozess graduell im Bewusstsein der Klienten:innen entwickeln – und tut sie glücklicherweise auch immer.

Mit der Analyse und darauffolgenden Erkenntnis lässt sich sehr gut an individuellen Strategien arbeiten, mit denen Klienten:innen ihre Leistungsfähigkeit auch ohne Ausbeutung langfristig sicherstellen können. Wie bei allen Themen im Coaching gilt nicht das Prinzip „one size fits all”, sondern jeder Mensch schafft es auf unterschiedliche Art und Weise, Selbstregulation und Selbstrückkoppelung zu entwickeln; dafür gilt es Wege gemeinsam zu erarbeiten.  

Auch wenn es das erklärte Ziel ist, die Samurai Ausrüstung abzulegen, gilt auch hier: Nichts soll in Extremen ablaufen, gesunde Verhältnismäßigkeit ist eine langfristige Lösung. Die gewonnene Erkenntnis im Coaching befähigt Klienten:innen überhaupt dazu, zu erkennen, dass sie unter Umständen eine Samurai Ausrüstung tragen. Die erarbeiteten Strategien hinsichtlich der Selbstrückkoppelung und somit Selfcare ermöglichen oft erst ein punktuelles bzw. situatives Ablegen der Ausrüstung. Um es mal ganz lapidar zu sagen: Das ist völlig ok so! Coaching ist der Prozess, den ich mit Klienten:innen als ihr Coach gemeinsam bestreite. Die gewonnenen Erkenntnisse wollen umgesetzt werden. Das ist Training.  

Allein die Erkenntnis und auch die erarbeiteten Strategien sind kein Schalter, der einfach nur umgelegt werden muss. Das (Berufs-)leben ist die Gym, das Basketball-, Fußball-, Tennisfeld, das Yoga-Studio oder der Pilates-Kurs. Dort trainieren wir, jeden Tag aufs Neue, jede Situation aufs Neue. Keiner erwartet, dass die Samurai-Ausrüstung in einer Hauruck-Bewegung abgeworfen und nie wieder angezogen wird. Wenn sie weniger oft hervorgeholt wird, ist sehr viel gewonnen.  

Wenn sie irgendwann poliert und aufgerichtet in der Ecke des Zimmers stehen darf, uns daran erinnert, worin wir stark, aber auch angreifbar sind, dann haben wir verdammt gut trainiert.