In unserer modernen Gesellschaft stehen viele Menschen unter einem enormen Druck. Die Leistungsanforderungen steigen und immer mehr soll in der gleichen Zeit erledigt werden. Es gibt zahlreiche Optimierungsmethoden, die jedoch häufig dazu führen, dass der Stress zunimmt. Das trifft auf alle Lebensbereiche zu. Der Arbeitsalltag, die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Liebe, die Freizeit, der Körper – das Streben nach Perfektion ist in allen Facetten des Lebens zu erkennen. Das führt früher oder später zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und das seelische, körperliche und geistige Wohlbefinden schwindet. Die Gesundheit ist das höchste Gut, denn wenn diese abhandenkommt, hat berufliche Erfüllung oder finanzieller Erfolg wenig Bedeutung. Ein gesunder Mensch hat viele Wünsche, ein Kranker hat nur einen: gesund werden. Das Kennen und Anwenden der Salutogenese befähigt Menschen dazu, ein gesundes und zufriedenes Leben in Balance zu führen.
Salutogenese-Modell Entstehung: Die Geschichte
Der amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky, der 1960 nach Israel auswanderte, entwickelte das Salutogenese-Modell in den 1970er Jahren. Mit der Herausgabe seines Buches “Health, Stress and Coping” erregte er 1979 große Aufmerksamkeit. Sein Konzept der Salutogenese handelt vom dynamischen Gleichgewicht von Schutz- und Risikofaktoren. Antonovsky nahm seine Beobachtungen früh in den Mittelpunkt. Ihm war es nicht wichtig, Strategien und Wege zu erforschen, was Menschen tun können, um Krankheit zu vermeiden. Er strebte danach, Erklärungen zu gesundheitlichem Wohlbefinden jenseits der Risikovermeidung zu finden. Aaron Antonovsky entwickelte eine neue Sichtweise auf die Verbindung zwischen Krankheit und Gesundheit. Seine Fragestellungen waren wegweisend und unterschieden sich von den bisherigen Ansätzen: Was führt dazu, dass Menschen gesund bleiben? Wie gelingt es, weniger krank zu sein? Welche Faktoren sind wichtig, um sich von Erkrankungen zu erholen?
Salutogenese-Modell einfach erklärt: Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff?
Der Begriff Salutogenese besteht aus zwei griechischen Wörtern und bedeutet “Heil sein” und “das Entstehen von Gesundheit”. In der Zeit, als Antonovsky das Salutogenese-Modell erforschte, stand das bisherige medizinische Konzept in der Kritik. Mediziner nahmen vorwiegend das Heilen von Krankheiten in den Fokus. Das Wiederherstellen der körperlichen Funktionsfähigkeit stand im Vordergrund, die Defekte wurden sozusagen repariert. Ärzte gaben bestenfalls einen Rat, wie der Erkrankte das Krankheitsrisiko minimieren kann. Patienten erwarteten im Zuge dessen auch nur die Behebung der gesundheitlichen Defekte. Zudem wurde es kritisch betrachtet, dass die damalige Medizin nur die Symptome unter die Lupe nahm. Der Patient wurde nicht in die Ursache, Diagnose und Therapie einbezogen. Durch dieses Verfahren verschenkte die Medizin wesentliche Heilungspotentiale.
Damals definierte die Medizin Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit. Zum Teil gilt diese Definition für Mediziner heute noch. Die negative Beschreibung von Gesundheit lässt sich in heutigen Zeiten nur schwer vertreten. Aaron Antonovsky fand Argumente, dass Krankheit nicht die Ausnahme und eine gesundheitliche Störung ist. In Anbetracht von Zivilisationsleiden, chronischer und psychosomatischer Erkrankungen tendiert sogar das Wohlergehen der Menschen immer mehr auf den Weg in Richtung Krankheit. Zwischen 30 und 50 Prozent der Menschen sind erkrankt oder leiden an Krankheitssymptomen. Dazu zählen die körperlichen, mentalen und emotionalen Einschränkungen. Gesundheit ist jedoch weit mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Auf der Basis dieser Erkenntnisse sowie der anhaltenden Kritik an der Entwicklung des Gesundheitssystems entwickelte Antonovsky das Salutogenese-Modell.
In dem Modell griff Antonovsky Ergebnisse und Gedanken der Stressforschung auf. Er arbeitete an einer neuen Definition von Krankheit und Gesundheit. Als wichtigen Faktor postulierte er das sogenannte Kohärenzgefühl und entwickelte Widerstandsfaktoren gegen gesundheitsbelastende Einflüsse.
Das Salutogenese-Modell lässt sich anhand der folgenden Metapher einfach und bildlich erklären:
Antonovsky hat das Leben und die Gesundheit mit einem Fluss verglichen. Dieser Vergleich führte dazu, dass ein Perspektivwechsel stattfand und die Salutogenese treffend und lebendig dargestellt wurde. Jeder Mensch schwimmt in einem Fluss voller Stromschnellen, Strudel, Biegungen und Gefahren. Die pathogenetische Medizin möchte helfen, indem Versuche erfolgen, den Ertrinkenden aus dem Fluss zu ziehen. Die Salutogenese greift nicht erst ein, wenn es fast zu spät ist, sondern bringt den Menschen bei, wie man gut schwimmt und sich selbst den Herausforderungen des Lebensflusses stellt. Das Modell der Salutogenese beschreibt die Meisterung der Stromschnellen und Gefahren ohne medizinische Unterstützung. Kurz gesagt: Das Salutogenese-Modell leistet Hilfe zur Selbsthilfe, um harmonisch und balanciert im Fluss des Lebens schwimmen zu können.
Die Fragestellung in der Salutogenese zielt darauf ab, wodurch der Mensch gesund bleibt. Das lenkt den Fokus in der Forschungsarbeit in eine ganz andere Richtung als allein die Frage, was Menschen krank macht. Das Konzept der Salutogenese umfasst die dynamische Ausgeglichenheit von Risiko- und Schutzfaktoren. Krankheit und Gesundheit sind im Salutogenese-Konzept nicht als sich ausschließende und gegensätzliche Aspekte zu betrachten. Wie ist es möglich, dass manche Menschen Herausforderungen des Lebens gut vertragen und andere daran erkranken? Diese Fragestellung führt zum Modell der Schutzfaktoren. Mit dem gesundheitlichen Modell wird veranschaulicht, dass die Wirkung der schützenden Faktoren mit den Verhaltensweisen und Einstellungen des Individuums zusammenhängt.
Stressoren bei der Salutogenese: Was ist das?
Die Begriffe Stress, Spannungszustand und Spannung werden im Salutogenese-Modell voneinander abgegrenzt. Ein Spannungszustand ist die Folge, wenn ein Stressor auftaucht. Die Funktion des Organismus besteht nun darin, die Spannungszustände zu bewältigen. Kann der Spannungszustand gelöst werden, hat das eine gesundheitsfördernde Wirkung.
Ist der Mensch jedoch mit seinen Ressourcen nicht fähig, mit den Spannungszuständen umzugehen, kommt Stress auf. Antonovsky beschreibt alle stressenden Reize als Stressoren. Die Reaktion auf Stress beziehungsweise die aufkommende Belastung macht nicht in jedem Fall krank, sondern kann einen gesundheitserhaltenden oder neutralen Effekt haben. Das ist meist bei kurzfristigem Stress der Fall, der in herausfordernden Situationen hilfreich ist. Das bezeichnet den sogenannten Eu-Stress. Schädlich wird es erst, wenn sich chronischer Stress entwickelt (=Di-Stress).
Hilfreiche Informationen zum Thema Stressbewältigung finden Sie in unserem Beitrag “Stressbewältigung: Häufige Symptome und Strategien um Stress abzubauen“.
Salutogenese: Das Kohärenzgefühl
In der Salutogenese steht das Kohärenzgefühl im Fokus von Antonovskys Konzept. Der Kohärenzsinn beschreibt das Ausmaß, in dem das Individuum über ein überdauerndes, durchdringendes und dynamisches Vertrauensgefühl verfügt. Das Vertrauen bezieht sich auf folgende Bereiche:
- Das Gefühl von Verstehbarkeit: Die Anforderungen aus der äußeren und inneren Erfahrungswelt sind im Laufe des Lebens erklärbar, vorhersehbar und strukturiert.
- Das Gefühl von Sinnhaftigkeit: Der Mensch fühlt, dass die Herausforderungen des Lebens das Engagement und die Investition verdienen.
- Das Gefühl der Wirksamkeit: Das Individuum kann auf Ressourcen zurückgreifen, um mit den Anforderungen umzugehen.
Ein Mensch kann flexibel auf Situationen, Erlebnisse und Herausforderungen reagieren, wenn das Kohärenzgefühl gut ausgeprägt ist. Tritt eine herausfordernde Situation ein, so kann das Individuum die notwendigen Ressourcen aktivieren. Ist der Kohärenzsinn jedoch gering entwickelt, dann können Anforderungen eher rigide und starr beantwortet werden. Es sind weniger Ressourcen vorhanden oder die Person kann die vorhandenen Ressourcen nicht erkennen oder anwenden.
Die Widerstandsfaktoren machen einen starken Kohärenzsinn aus
Die 3 benannten Widerstandsfaktoren werden nun genauer beleuchtet. Die salutogenen Faktoren sorgen für ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl und lässt Menschen stark und gesund durchs Leben gehen. Ein Individuum mit einem guten Kohärenzsinn geht mit Misserfolgen, Krisen und Anstrengungen souverän um. Getreu dem Motto: Man kann stolpern und hinfallen, aber dann steht man wieder auf, klopft sich den Schmutz von der Kleidung und es geht wieder vorwärts. Sie vertrauen auf sich und das Leben.
Menschen, die das Gefühl der Verstehbarkeit besitzen, erleben den Alltag als verständlich, vorhersehbar und strukturiert. Das tiefe Gefühl der Sicherheit ist im Inneren verankert. Falls eine Struktur nicht mehr funktioniert, wird eine neue ins Leben gerufen. Individuen mit der Widerstandsressource der Verstehbarkeit sehen die Welt als sicheren und begreiflichen Ort.
Herausforderungen des Lebens sind zu bewältigen, wenn der Widerstandsfaktor der Handhabbarkeit bei den Menschen verankert ist. Sie fragen sich nicht, wie das Problem entstanden und wer Schuld daran ist, sondern suchen nach Lösungen. Sie sehen und nutzen ihre Selbstwirksamkeit und handhaben Anforderungen als neue Aufgabe, die es zu lösen gilt. Sie wachsen an Herausforderungen und sehen Probleme als Erfahrungen, die zum Leben gehören. Mit der Handhabbarkeit als Widerstandsressource ist gemeint, dass der Mensch überzeugt ist, mit seinen Ressourcen die bestehenden Probleme bewältigen zu können.
Sind meine täglichen Entscheidungen und Handlungen sinnvoll für mich? Kann ich den Sinn dahinter erkennen oder lebe ich das Leben nur nach den Erwartungen anderer? Sehe ich einen Wert in meinen Handlungen? Diese Fragen beleuchten sehr genau, wie wichtig es ist, den Widerstandsfaktor der Sinnhaftigkeit im eigenen Leben zu erkennen. Es macht auf Dauer unglücklich und krank, wenn der Sinn verloren geht.
Antonovsky ging davon aus, dass der Kohärenzsinn bei Erwachsenen unveränderbar entwickelt ist. Neue Forschungsansichten widerlegen diese Aussage. Wissenschaftler gehen heutzutage davon aus, dass in jedem Alter eine Veränderung machbar ist. Die Gesundheit kann durch Antonovskys Ansätze gestärkt werden, weil die inneren sowie äußeren Umstände mit in das Gesundheitsbild einbezogen werden. Der daraus entstehende Kohärenzsinn hilft Menschen, Herausforderungen des Lebens anzugehen und stärkt die Widerstandsfähigkeit.
Unterschied Pathogenese und Salutogenese: Wir klären auf
Die Salutogenese zeigt ein Modell auf, dass das Individuum entweder gesund oder krank ist. Die Krankheit bedeutet dabei immer eine Entfernung vom normalen Gesundheitszustand. Krankheit sowie Gesundheit sind charakteristisch für das menschliche Leben. Der Wechsel zwischen Krankheit und Gesundheit ist im Sinne der Salutogenese ein notwendiger Normalzustand. Im Leben ist eben nicht alles sicher, planbar und berechenbar. Dysbalancen in Körper, Geist und Seele zeigen sich in den meisten Fällen durch Erkrankungen. Es ist wichtig, sich den Herausforderungen zu stellen und zu lernen, mit diesen umzugehen.
Was dagegen bedeutet Pathogenese? Salutogenese und Pathogenese sind zusammen wie eine Medaille. Somit ist die Pathogenese die eine Seite der Medaille und die Salutogenese die andere. Die Pathogenese ist das Gegenteil der Salutogenese, denn die Pathogenese beschreibt das Entstehen von Krankheiten. Nach der Metapher von Aaron Antonovsky versuchen konventionelle Mediziner, den Ertrinkenden aus dem gefährlichen Fluss zu ziehen (=Pathogenese). Da die Energie immer dahin fließt, wo das Hauptaugenmerk liegt, kann der Blick niemals dahin wandern, was stromaufwärts des Flusses geschieht. Mediziner sehen häufig nicht, was oder wer das Individuum in den Fluss wirft. Die Salutogenese befasst sich damit, was möglich ist, um gar nicht erst in den reißenden Fluss zu fallen.
Die Pathogenese konzentriert sich auf das Problem und betrachtet nicht die lebenswerten, sinnvollen und positiven Aspekte des Lebens, die gestärkt werden sollten. Im Fokus steht die Krankheit und die Medizin hat jahrhundertelang das Paradigma des Pathogenese-Modells entwickelt. Nun gibt es viele Experten für Erkrankungen, die jedoch nicht viel über die individuelle Gesundheit des Menschen wissen. Es wird ermittelt, was krank macht und wie die Krankheit therapiert werden kann. Die Frage, was die Gesundheit erhält, rückt im Rahmen der Pathogenese nicht ins Blickfeld. Die Folge ist, das zahlreiche Medikamente verschrieben und verursachende Erreger gesucht werden. Vorbeugende Impfungen sollen Menschen helfen, Krankheiten zu vermeiden. Das pathogenetische Modell agiert nach dem Prinzip: Impfen gegen alles, Stress vermeiden, krankschreiben und Medikamente bei jedem Unwohlsein verabreichen.
Salutogenese-Modell von Antonovsky: Was macht es so besonders?
Als Antonovsky seine Ergebnisse bekannt gab, war das medizinische Gesundheitssystem vollumfänglich von der Pathogenese geprägt. Es drehte sich alles um das Managen der Krankheiten. Die Heilung von Erkrankungen und das Minimieren der Beschwerden stand im Vordergrund. Um die gesundheitliche Funktionsfähigkeit wieder herzustellen, wurden medikamentöse oder operative Maßnahmen eingesetzt. Das pathogenetische Verfahren bezieht sich nur auf den bestehenden Zustand und beseitigt Defekte. Diese Strategie orientiert sich fast nur an den physischen Symptomen und lässt den Patienten mit seiner Geschichte, seiner Psyche, seinem Umfeld und seiner individuellen Persönlichkeit außen vor. Das bedeutet, dass ein wichtiger Aspekt nicht unter die Lupe genommen wird: Was hält einen Menschen gesund?
Antonovsky war bestrebt, den Fokus auf die Gesundheit zu richten und arbeitete intensiv im Bereich der Stressforschung. Seine Berichte zeigten auf, dass Individuen in gleichen Situationen unterschiedlich reagieren und aus diesem Verhalten verschiedene gesundheitliche Folgen entstehen. Er erkannte die enormen Heilungspotentiale der Salutogenese und gab seine Erkenntnisse in die Öffentlichkeit.
Das Konzept der Salutogenese zeigt auf, wie Gesundheit entsteht und es gar nicht erst zum Entstehen einer Erkrankung kommt. Immer mehr Ärzte befassen sich damit und nutzen das Prinzip der Salutogenese.
Dabei steht immer die Fragestellung “Was kann ich tun, um möglichst lange fit und gesund zu bleiben?” im Fokus.
Warum ist Salutogenese wichtig?
Die Fließgeschwindigkeit des Lebensflusses ändert sich fortlaufend, von langsam dahingleitendem Wasser bis zu gefährlichen Strömungen. Es zeigen sich immer wieder Strudel, die ein Problem darstellen. Abbiegungen erfordern vom Schwimmer neue Entscheidungen, wie es weitergehen soll. Die Salutogenese beschäftigt sich mit dem Anliegen, was den Menschen dazu bringt, besser auf die Anforderungen des Flusses zu reagieren. Das Ziel des Salutogenese-Modells ist, die Person zu einem guten Schwimmer machen. Entscheidende Faktoren im Modell der Salutogenese sind die Stressprävention und Stressbewältigung.
Die Qualität der Fragen bestimmt die Qualität des Lebens. Folgende Fragestellungen können dabei helfen, die Gesundheit zu stärken und ein psychisches sowie physisches Wohlbefinden im Leben zu etablieren:
- Was tut mir wirklich gut?
- Was wünsche ich mir von Herzen?
- Was sind meine Fähigkeiten?
- Was interessiert mich wirklich?
- Was ist mein Rhythmus von Erholung und Anspannung?
- Was sind meine Werte und Bedürfnisse?
- Wie kommuniziere ich meine Bedürfnisse und Grenzen?
Menschen, die nach den Grundsätzen der Salutogenese leben, fühlen mehr Lebensfreude, Glück, Erfolg, Kohärenz und Stimmigkeit. Das Leben ist in Balance. Die Selbstregulation ist stark, sodass Krisen und Krankheiten gut zu meistern sind. Mithilfe von neuen Gewohnheiten und hilfreichen Techniken kann jeder das Konzept der Salutogenese nutzen und so ein Leben in Zufriedenheit und Harmonie kreieren.