„Musik höre ich wehrlos, deshalb stört sie mich in öffentlichen Räumen auch oft. Sie absorbiert mich. Ich kann neben ihr kaum einen Gedanken fassen. Für kaum etwas bin ich so dankbar wie für die Entdeckung neuer, unbekannter, sprechender Musik, …“ schrieb Roger Willemsen 2015 ( R. Willemsen, Musik!, Fischer Verlag Frankfurt, 2018, S. 11)
Ein Jahr später starb er leider und so konnte er die Veröffentlichung dieser literarischen Entdeckung, in der sich alles um klassische Musik dreht, nicht mehr erleben. Er hätte seine Freude daran gehabt, denn auch er wäre sicher noch auf Unentdecktes gestoßen. 2017 erschien Year of Wonder – Classical Music for Every Day zunächst in Englisch.
Zwei Jahre später dann, kurz vor Weihnachten, lag „Ein Jahr voller Wunder – Klassische Musik für jeden Tag“ in der Buchhandlung meines Vertrauens in einer kleinen Stückzahl aus. Nach einer kurzen Inspektion kaufte ich. Und zwar alle! Die von mir damit zu Weihnachten Beschenkten sind froh. Das Buch macht nämlich einfach froh.
Die Autorin, die mit klassischer Musik groß geworden ist, öffnet uns 366 Türen (Ja, nicht nur 365, denn auch an das Schaltjahr ist gedacht!) zur Musik. Jedem ihres aus 1000 Jahren Musikgeschichte ausgewählten Stück widmet sie eine Seite. Sie macht uns mit den Komponistinnen und Komponisten bekannt, stellt Kontexte her und überrascht mit amüsanten Details. Die Texte sind das Amuse gueule für die Augen – denn mit den Ohren soll und wird es weitergehen: man will nun hören, was sie für den Tag ausgesucht hat. Apple hat dazu eine Playlist erstellt, man kann aber auch einfach über YouTube die Hörprobe machen.
„Wir alle sehnen uns nach Verzauberung…“
Burton-Hill empfindet unser neuzeitliches modernes Leben als zerfasert und durchgetaktet. Sich einmal am Tag die Zeit zu nehmen, um nur zu sein und zu hören, sieht sie als Mittel der Selbstfürsorge. Dieses individuelle Ritual fördert die Konzentration und das Innehalten. Und Musik kann das Hier und Jetzt transzendieren: „ Wir alle sehnen uns nach Verzauberung, etwas Ehrfurchtgebietendem und wünschen uns ein Wunder. Für Menschen aller Glaubensrichtungen – oder eben auch gar keiner – kann Musik genau dies sein und noch viel mehr.“ ( Burton-Hill, S. 16)
Für den 1. Januar hat sie das Sanctus aus der h-Moll- Messe von Johann Sebastian Bach ausgesucht. Für sie ist Bach der Big Daddy der Musik und irgendwie die Quintessenz von allem. Also ein optimaler Start zu Jahresbeginn „Okay, neues Jahr, Du kannst kommen, fangen wir es an!“ (ebenda, S. 19) Seien Sie nicht traurig, wenn Sie nicht direkt von Anfang an in das Musikjahr gestartet sind. Ein Zustieg ist jederzeit möglich! Lesen Sie und Hören Sie los!
Clemency Burton-Hill, Ein Jahr voller Wunder – Klassische Musik für jeden Tag Diogenes Verlag Zürich 2019, 25 Euro